Wer ist verpflichtet, passive latente Steuern in der Bilanz auszuweisen?
Einführung in passive latente Steuern
Passive latente Steuern sind ein wichtiges Thema in der Rechnungslegung und Bilanzierung von Unternehmen. Sie entstehen, wenn es zeitliche Unterschiede zwischen der Steuerbilanz und der Handelsbilanz gibt. Um ein möglichst genaues Bild der finanziellen Lage eines Unternehmens zu zeichnen, müssen diese latenten Steuern in der Bilanz ausgewiesen werden. Doch nicht alle Unternehmen sind dazu verpflichtet. In diesem Artikel erfahren Sie, wer passive latente Steuern bilanzieren muss und welche Regelungen es dazu gibt.
Was sind passive latente Steuern?
Zunächst ist es wichtig zu verstehen, was genau passive latente Steuern sind. Es handelt sich dabei um zukünftige Steuerbelastungen, die aus Differenzen zwischen Handels- und Steuerbilanz resultieren. Sie entstehen, wenn der Gewinn in der Handelsbilanz höher ausfällt als in der Steuerbilanz. Das bedeutet, dass in der Zukunft höhere Steuerzahlungen auf das Unternehmen zukommen werden.
Einige typische Beispiele für das Entstehen passiver latenter Steuern sind:
- Unterschiedliche Abschreibungsmethoden in Handels- und Steuerbilanz
- Ansatz von Rückstellungen, die steuerlich nicht anerkannt werden
- Aktivierung von selbst geschaffenen immateriellen Vermögensgegenständen in der Handelsbilanz
- Höherbewertung von Vermögensgegenständen in der Handelsbilanz
Der Ausweis passiver latenter Steuern dient dazu, den Jahresabschluss um diese zukünftigen Steuerbelastungen zu bereinigen und so ein realistischeres Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage zu vermitteln.
Gesetzliche Grundlagen für den Ausweis passiver latenter Steuern
Die Bilanzierung latenter Steuern ist in verschiedenen Rechnungslegungsvorschriften geregelt. Je nach angewandtem Rechnungslegungsstandard gelten unterschiedliche Regelungen:
Handelsgesetzbuch (HGB)
Im deutschen Handelsrecht ist die Bilanzierung latenter Steuern in § 274 HGB geregelt. Demnach besteht für passive latente Steuern eine Ansatzpflicht. Das bedeutet, dass Unternehmen, die nach HGB bilanzieren, verpflichtet sind, passive latente Steuern in ihrer Bilanz auszuweisen.
International Financial Reporting Standards (IFRS)
Nach den internationalen Rechnungslegungsstandards IFRS gilt ebenfalls eine Ansatzpflicht für passive latente Steuern. Die Regelungen finden sich im IAS 12 (Income Taxes). IFRS-Bilanzierer müssen also passive latente Steuern zwingend ausweisen.
US-GAAP
Auch die US-amerikanischen Rechnungslegungsvorschriften US-GAAP sehen eine Pflicht zum Ausweis passiver latenter Steuern vor. Die entsprechenden Regelungen finden sich im ASC 740 (Income Taxes).
Wer ist zum Ausweis passiver latenter Steuern verpflichtet?
Nachdem wir die gesetzlichen Grundlagen betrachtet haben, stellt sich die Frage, welche Unternehmen tatsächlich verpflichtet sind, passive latente Steuern in ihrer Bilanz auszuweisen. Dies hängt von verschiedenen Faktoren ab:
Größenklassen nach HGB
Das Handelsgesetzbuch unterscheidet zwischen kleinen, mittelgroßen und großen Kapitalgesellschaften. Die Pflicht zur Bilanzierung latenter Steuern hängt von der Größenklasse ab:
- Kleine Kapitalgesellschaften sind von der Bilanzierung latenter Steuern befreit.
- Mittelgroße und große Kapitalgesellschaften müssen passive latente Steuern ausweisen.
Die Größenklassen werden anhand bestimmter Schwellenwerte für Bilanzsumme, Umsatzerlöse und Mitarbeiterzahl bestimmt:
Größenklasse | Bilanzsumme | Umsatzerlöse | Arbeitnehmer |
---|---|---|---|
Klein | ≤ 6 Mio. € | ≤ 12 Mio. € | ≤ 50 |
Mittelgroß | ≤ 20 Mio. € | ≤ 40 Mio. € | ≤ 250 |
Groß | > 20 Mio. € | > 40 Mio. € | > 250 |
Ein Unternehmen gilt als klein, wenn es mindestens zwei der drei Merkmale für zwei aufeinanderfolgende Geschäftsjahre nicht überschreitet.
Kapitalmarktorientierte Unternehmen
Unternehmen, die einen organisierten Markt im Sinne des § 2 Abs. 5 WpHG durch von ihnen ausgegebene Wertpapiere in Anspruch nehmen, gelten als kapitalmarktorientiert. Diese Unternehmen sind unabhängig von ihrer Größe verpflichtet, passive latente Steuern auszuweisen.
Konzernabschlüsse
Für Konzernabschlüsse gelten besondere Regelungen. Hier besteht grundsätzlich eine Pflicht zur Bilanzierung latenter Steuern, unabhängig von der Größe des Konzerns. Dies gilt sowohl für HGB- als auch für IFRS-Konzernabschlüsse.
Freiwillige Anwendung der IFRS
Unternehmen, die freiwillig nach IFRS bilanzieren, müssen ebenfalls passive latente Steuern ausweisen. Dies gilt auch dann, wenn sie nach HGB-Kriterien als kleine Kapitalgesellschaft einzustufen wären.
Besonderheiten bei Personengesellschaften
Für Personengesellschaften gelten besondere Regelungen bezüglich der Bilanzierung latenter Steuern:
- Personenhandelsgesellschaften (z.B. OHG, KG) müssen grundsätzlich keine latenten Steuern bilanzieren, da sie nicht körperschaftsteuerpflichtig sind.
- Ausnahme: Wenn eine Personenhandelsgesellschaft aufgrund ihrer Größe zur Aufstellung eines Jahresabschlusses nach den Vorschriften für Kapitalgesellschaften verpflichtet ist (§ 264a HGB), muss sie auch latente Steuern bilanzieren.
- Bei Personengesellschaften, die freiwillig einen Jahresabschluss nach IFRS aufstellen, besteht ebenfalls eine Pflicht zur Bilanzierung latenter Steuern.
Ausnahmen von der Bilanzierungspflicht
Es gibt einige Ausnahmen von der Pflicht zur Bilanzierung passiver latenter Steuern:
Steuerliche Organschaft
Bei einer steuerlichen Organschaft werden die Einkünfte des Organträgers und der Organgesellschaften zusammengefasst und beim Organträger versteuert. In diesem Fall müssen die Organgesellschaften in ihren Einzelabschlüssen keine latenten Steuern bilanzieren. Die Bilanzierung erfolgt stattdessen im Abschluss des Organträgers.
Ergebnisabführungsverträge
Besteht ein Ergebnisabführungsvertrag zwischen zwei Unternehmen, bei dem das gesamte Ergebnis an das Mutterunternehmen abgeführt wird, entfällt für die Tochtergesellschaft die Pflicht zur Bilanzierung latenter Steuern.
Steuerbefreiungen
Unternehmen, die vollständig von der Körperschaftsteuer befreit sind (z.B. bestimmte gemeinnützige Organisationen), müssen keine latenten Steuern bilanzieren, da bei ihnen keine zukünftigen Steuerbe- oder -entlastungen entstehen können.
Bewertung und Ausweis passiver latenter Steuern
Wenn ein Unternehmen verpflichtet ist, passive latente Steuern auszuweisen, stellt sich die Frage nach der korrekten Bewertung und dem richtigen Ausweis in der Bilanz:
Bewertung
Die Bewertung passiver latenter Steuern erfolgt mit dem Steuersatz, der zum Zeitpunkt der Auflösung der Differenz voraussichtlich gelten wird. Dabei sind folgende Punkte zu beachten:
- Es ist der zum Bilanzstichtag geltende oder angekündigte Steuersatz zu verwenden.
- Bei der Berechnung sind Körperschaftsteuer, Solidaritätszuschlag und Gewerbesteuer zu berücksichtigen.
- Unterschiedliche Steuersätze für verschiedene Einkommensarten (z.B. thesaurierte und ausgeschüttete Gewinne) sind zu beachten.
- Eine Abzinsung der latenten Steuern ist nach HGB und IFRS nicht zulässig.
Ausweis in der Bilanz
Der Ausweis passiver latenter Steuern erfolgt in der Bilanz wie folgt:
- Nach HGB: Passive latente Steuern werden als eigenständiger Posten auf der Passivseite der Bilanz ausgewiesen.
- Nach IFRS: Latente Steuerschulden werden als langfristige Verbindlichkeiten in der Bilanz dargestellt.
Eine Saldierung aktiver und passiver latenter Steuern ist nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig.
Anhangangaben zu passiven latenten Steuern
Neben dem Ausweis in der Bilanz sind Unternehmen verpflichtet, im Anhang zum Jahresabschluss weitere Informationen zu den passiven latenten Steuern zu geben. Diese Angaben sollen den Bilanzlesern ein besseres Verständnis der steuerlichen Situation des Unternehmens ermöglichen.
Anhangangaben nach HGB
Nach § 285 Nr. 29 HGB sind folgende Angaben zu latenten Steuern im Anhang erforderlich:
- Der Gesamtbetrag der latenten Steuerschulden
- Die wesentlichen Ursachen für die Entstehung der latenten Steuern
- Der für die Bewertung verwendete Steuersatz
- Bei Saldierung: Der Saldierungsbetrag und die saldierten Beträge
Anhangangaben nach IFRS
Die IFRS fordern umfangreichere Angaben zu latenten Steuern im Anhang, unter anderem:
- Eine Aufschlüsselung der latenten Steuerschulden nach Arten von temporären Differenzen
- Eine Überleitung zwischen dem erwarteten und dem tatsächlichen Steueraufwand
- Informationen zu nicht bilanzierten latenten Steuern
- Angaben zu Steuersätzen und Steuerrechtsänderungen
Bedeutung passiver latenter Steuern für die Bilanzanalyse
Der Ausweis passiver latenter Steuern hat Auswirkungen auf verschiedene Bilanzkennzahlen und ist daher für die Bilanzanalyse von Bedeutung:
- Eigenkapitalquote: Passive latente Steuern erhöhen die Bilanzsumme und verringern dadurch die Eigenkapitalquote.
- Verschuldungsgrad: Da passive latente Steuern als Verbindlichkeiten betrachtet werden, erhöhen sie den Verschuldungsgrad des Unternehmens.
- Steuerquote: Latente Steuern beeinflussen die effektive Steuerquote des Unternehmens und können zu Abweichungen vom nominalen Steuersatz führen.
Bei der Analyse von Jahresabschlüssen sollten diese Effekte berücksichtigt werden, um ein realistisches Bild der finanziellen Situation des Unternehmens zu erhalten.
Fazit
Die Bilanzierung passiver latenter Steuern ist ein komplexes Thema, das für viele Unternehmen relevant ist. Während kleine Kapitalgesellschaften nach HGB von der Bilanzierungspflicht befreit sind, müssen mittelgroße und große Kapitalgesellschaften sowie kapitalmarktorientierte Unternehmen passive latente Steuern ausweisen. Auch für Konzernabschlüsse und IFRS-Bilanzierer besteht eine Pflicht zur Bilanzierung.
Der korrekte Ausweis passiver latenter Steuern ist wichtig, um ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens zu vermitteln. Bilanzersteller müssen die relevanten Vorschriften kennen und anwenden, während Bilanzleser die Auswirkungen latenter Steuern bei der Analyse berücksichtigen sollten.
Angesichts der Komplexität des Themas und der möglichen bilanziellen Auswirkungen ist es für Unternehmen ratsam, sich bei Fragen zur Bilanzierung latenter Steuern von Experten beraten zu lassen. Nur so kann sichergestellt werden, dass alle gesetzlichen Vorschriften eingehalten und die latenten Steuern korrekt ausgewiesen werden.
Häufig gestellte Fragen (FAQs)
1. Was ist der Unterschied zwischen aktiven und passiven latenten Steuern?
Aktive latente Steuern entstehen, wenn der Gewinn in der Steuerbilanz höher ist als in der Handelsbilanz und repräsentieren zukünftige Steuerentlastungen. Passive latente Steuern hingegen entstehen, wenn der Gewinn in der Handelsbilanz höher ist als in der Steuerbilanz und stellen zukünftige Steuerbelastungen dar.
2. Müssen Einzelunternehmen latente Steuern bilanzieren?
Nein, Einzelunternehmen sind in der Regel nicht zur Bilanzierung latenter Steuern verpflichtet, da sie nicht körperschaftsteuerpflichtig sind. Die Pflicht zur Bilanzierung latenter Steuern betrifft hauptsächlich Kapitalgesellschaften und bestimmte Personenhandelsgesellschaften.
3. Wie wirken sich Verlustvorträge auf latente Steuern aus?
Steuerliche Verlustvorträge können zu aktiven latenten Steuern führen, da sie zukünftige Steuerentlastungen darstellen. Allerdings dürfen aktive latente Steuern auf Verlustvorträge nur angesetzt werden, wenn ihre Realisierung hinreichend wahrscheinlich ist.
4. Können latente Steuern das Jahresergebnis beeinflussen?
Ja, Veränderungen der latenten Steuern werden in der Gewinn- und Verlustrechnung erfasst und beeinflussen somit das Jahresergebnis. Eine Zunahme passiver latenter Steuern führt zu einem Steueraufwand, während eine Abnahme einen Steuerertrag darstellt.
5. Wie oft müssen latente Steuern neu bewertet werden?
Latente Steuern müssen zu jedem Bilanzstichtag neu bewertet werden. Dabei sind Änderungen der Steuersätze, neue steuerliche Vorschriften und Veränderungen in den zugrunde liegenden temporären Differenzen zu berücksichtigen. Eine regelmäßige Überprüfung und Anpassung ist daher erforderlich.